Berichte

Landwirte: Heu wird knapp



Erst zu trocken, dann zu nass, das Wetter ist schuld, dass das Gras nicht wächst – Existenzen gefährdet
Von Ingrid Zöllner


Frankfurt/Dauernheim. Nachdenklich schaut sich Biobäuerin Martina Loos aus Dauernheim in der Wetterau das Gras ihrer Weide an. Im Gegensatz zu den anderen Jahren ist es dieses Mal recht kurz, noch zu wenig für Heu. Der erste Schnitt für das Winterfutter ist nicht besonders gut ausgefallen. Sie und ihr Lebensgefährte Matthias Brauner rechnen bei der ersten Ernte mit 30 Prozent Einbußen.

So spät wie nie

 Eigentlich müsste zu dieser Zeit schon zum zweiten Mal gemäht werden. „Wir sind jetzt erst dabei, das erste Mal zu mähen“, sagt sie. Dreiviertel der Felder haben sie erst geschafft. Hätte das Wetter gehalten, wären sie damit fertig gewesen. So wie ihr geht es vielen Landwirten in Hessen. Um Engpässe zu vermeiden, wird das Heu teilweise sogar aus Übersee importiert.

Von Problemen mit der Ernte weiß auch Rainer Seimetz vom Hessischen Bauernverband in Friedrichsdorf. „In vielen Gegenden kann erst jetzt der zweite Schnitt erfolgen. Im Frühjahr war es lange zu trocken, was das Wachstum verzögert hat. Nun kehrt sich die Wettersituation ins Gegenteil um, was eine Heuernte erschwert“, sagt er. Mindestens eine Woche müsste es jetzt trocken mit etwas Wind sein, damit das Heu abtrocknen kann. Er weiß auch: „Die Landwirte sind mit der Heuproduktion so spät wie noch nie.“ Da das Wetter vorerst schlecht bleiben soll, geht es in die dritte Woche des Verzugs. „Ein Landwirt hat mir gerade erst gesagt, dass er so eine Situation in 50 Jahren nicht erlebt hat. 2011 ist in der Hinsicht wirklich ein Ausnahmejahr“, berichtet Seimetz. Auch die Wintergerste habe gelitten – sie ist die erste Frucht, die geerntet wurde.

Mehr Schlachtungen

Biobäuerin Loos hofft auf den zweiten Schnitt. Sie betreibt Milchkuhhaltung, züchtet Rinder und verkauft Jungtiere. Auf mehreren Naturschutzweiden in Dauernheim hält sie Fleischrinder, die teilweise das ganze Jahr draußen bleiben. Wird die zweite Ernte nicht viel besser ausfallen und der Winter wie vergangenes Jahr, muss sie mehr Tieren schlachten lassen als geplant. „In der Regel haben wir von 65 Hektar Grünlandfläche rund 1000 Rundballen. Mit Glück werden es 800“, weiß Brauner. 150 Tiere haben sie, 70 Mutterkühe sind darunter. Wenn es nicht anders geht, müssen auch einige von ihnen weg: „Man schaut schon immer auf der Koppel, von welchem Tier man sich trennen könnte“, berichtet die 41-Jährige. Auf ihrem Hof stehen zudem 18 Pensionspferde, die auch über den Winter fressen wollen. „Es wird wohl das erste Mal sein, dass wir das Heu portionieren müssen“, meint die Biobäuerin aus der Wetterau, die nur für den eigenen Betrieb Heu produzieren kann.

Für das Heu wichtig ist das Untergras, das so genannte saftige, fette Futter, was aufgrund der langen Trockenheit nicht wachsen konnte. Der Dottenfelder Hof in Bad Vilbel verzeichnete bei seiner Ernte ebenfalls Einbußen. „Bei der Luzerne und dem Futterheu haben wir beim ersten Schnitt jeweils nur den halben Ertrag bekommen“, sagt Christoph Hollerbach, der für die Futterfelder vom Dottenfelder Hof zuständig ist. „Der zweite Schnitt dagegen hat es wieder aufgeholt.“ Die Einbuße konnte der Hof über eine Kooperation mit einem Landwirt abfangen, der für den Hof gegen Mist Futterpflanzen anbaut. „Da haben wir bei der Luzerne zweimal statt einmal gemäht, was die Lücke gefüllt hat“, erklärt Hollerbach.

Die späte Ernte wirkt sich auf die Qualität und den Preis aus. Der Mangel an Heu trifft auch die Pferdebetriebe, die ihr Futter aus dem Vogelsberg, Rhön und Spessart liefern, wo es aber vermutlich zu geringen Erträgen kommen wird, laut Einschätzung von Seimetz. So ergeht es auch Thomas Wamser von der Reitanlage am Ludwigsbrunnen in Karben. Er muss rund 30 Pferde versorgen. Weniger Ernte bedeutet automatisch auch ein Anstieg der Heupreise. „Wir hatten trotz Rücklagen aus dem vorigen Jahr Schwierigkeiten, unsere Scheune voll zu kriegen.“ Er hat normalerweise drei feste Lieferanten, einer sprang schon wegen mangelnder Ware ab. „Der Heubestand ist inzwischen aber zum Glück gesichert, weil der Reitverein viel telefoniert und alle Ressourcen ausgeschöpft hat“, sagt er. Wamser hat Angebote von einem Lieferanten aus Köln bekommen, der Heu  aus Kanada, Schweiz und Frankreich importiert. Für die Pferde braucht er rund 200 Ballen, um sie gut durch den Winter zu bekommen. Ein Pferd benötigt pro Tag zwischen sechs und zehn Kilo. Waren bislang für 100 Kilo noch zehn oder elf Euro normal, sind es nun zwischen 15 und 18 Euro für Heu aus nächster Nähe und bis zu 35 Euro für ferne Ware.

Preise stark gestiegen

Auf dem Waldhohlhof von Harald Cost in Karben stehen 42 Pferde. „Wir kaufen unser Heu von der Wiese weg und pressen es selbst. Bei zwei bis drei Landwirten im Vogelsberg haben wir keins bekommen, weil die Ernte schlecht war und die Landwirte wegen ihrer Betriebe nichts verkauft haben“, berichtet Cost. Im Schnitt braucht die Reitanlage im Jahr 700 Ballen. „Zum Glück mussten wir nichts dazukaufen, weil die Ernte im vergangenen Jahr überdurchschnittlich gut ausgefallen war.“ Er erinnert sich, dass es 2003 schon einmal mit der Heuversorgung knapp war. Daher achtet der Reitanlagenbetreiber darauf, immer ein Viertel bis ein Drittel Überstand im Stall zu haben.

Durch den angezogenen Heupreis könnten gerade in kleineren Betrieben Existenzen gefährdet sein. Einige Pferdebesitzer überlegen deshalb sogar, aufgrund der gestiegenen Preise, ihr Tier zu verkaufen.


Grundnahrungsmittel für Pferde

Heu ist für Pferde ein Grundnahrungsmittel wie für Menschen das Brot. Es ist raufaserreich und enthält für den Vierbeiner wichtige Nährstoffe, daher muss auf die Qualität geachtet werden. Die Fasern des Heus liefern dem Tier zudem Ballaststoffe, die für die Verdauung notwendig sind. Pro Pferd sollte mindestens sechs Kilogramm pro Tag gefüttert werden. Wenn Heu nass gepresst wird, kann es schimmeln, daher muss es vorher auf dem Feld ausreichend trocknen können. Der Wassergehalt darf nicht mehr als 18 bis 20 Prozent betragen. Bis es verfüttert werden kann, muss es sechs bis acht Wochen gelagert werden, wobei oft typisch würzige Geruch entsteht.


Erschienen in der Frankfurter Neuen Presse am 23.07.2011